Einmal angesteckt von ihrer psychedelischen Pastelligkeit, will man sich in den Landschaften des Osloer Anders Grønlien verlieren: Weite Panoramen, reißende Wasserfälle, tiefe Schluchten, schmale Pfade durch undurchsichtige Wälder – alles, was getreu der Tradition idealistischer Landschaftsmalerei an unserer Empfindsamkeit kratzen muss, bringt Grønlien auf die Leinwand. Darum verwundert es kaum, dass er vor Kurzem im Künstlerhaus Bethanien in einer Ausstellung zu sehen war, die den Titel New Black Romanticism trug.
Anders als die Romantiker macht Anders seine Natur aber nicht zur Projektionsfläche religiöser Symbolik, oder zum Porträt einer gottgegebenen, pantheistischen Vollkommenheit. Was man bei ihm sieht, ist nicht die Behauptung einer Connection von Dies- und Jenseits, sondern Orte der Unnatur, gekünstelte Traumwelten, die gar nichts mit der Realität zu tun haben wollen. Hier spiegeln sich die mystischen Welten aus Fantasyromanen und MMORPGs ebenso wie die Imaginationskraft eines guten Trips. Grønliens Bilder zeigen, wo unsere entzauberte – man würde eigentlich denken: postmythische – Postmoderne ihre Orte des Phantastischen findet.
Wie die Plätze in seinen Malereien, so sind auch die Objekte des 38jährigen definitiv nicht von dieser Welt. Die turmähnliche Skulptur Elevation aus zementiertem Marmorstaub über einer Eisenkonstruktion, und ihr kleinerer Doppelgänger, dessen bestprayte Oberfläche das kühle Licht eines LED-Kreises reflektiert, stehen irgendwo zwischen futuristischer Architektur und SciFi. Aus Birkenholz schnitzt Grønlien ein Exemplar der sagenumwobenenen Narwalzähne, der sich an seinem verjüngtem Ende in einen Dolch – oder doch einen Zauberstab? – wandelt. Dieses Teil bringt Grønlien mittels zwei eigenhändig geschmiedeter Haken auf einem Brett aus Kiefernholz an, was ihm insgesamt die Erscheinung einer Trophäe verleiht, die sich gut bei Ollivanders machen würde. Sehr eigentümlich auch das Objekt The silence of the lambs: An einen in Bronze gegossenen, schamanenähnlichen Stab bindet der Künstler die konservierten Ohren eines Lamms. Es hat etwas elegisches, wie Grønlien mit seinen Artefakten eine rätselhafte und magische Bedeutsamkeit von Objekten heraufbeschwört, wo uns doch in der Welt der Dinge schon lange kaum noch Zauberhaftes begegnet. Unter dem Diktum der Warenförmigkeit besitzt das neue iPhone eine gralsgleiche Anziehungskraft – aber auch nur solange, bis der Hype verebbt, weil fünf Millimeter mehr Display die Spirale aus Innovation und Trivialisierung erneut anfeuern. Dann muss man leider wieder an die Kasse.
Mit der Performance Spirit World Rising konnte Grønlien seine künstlerische Ambition bisher wohl am eindrücklichsten transportieren. In selbstgeschneiderter Kutte, den Schamanenstab in Händen, durchschreitet der Künstler den Ausstellungsraum einer Prager Galerie. Beäugt von Anežka Hošková, mit welcher Grønlien die Performance gemeinsam entwickelt hat und die als menschliche Skulptur an einer Wand des Raumes thront, huldigt er in bestimmten Handlungsabfolgen den einzelnen Ausstellungselementen und aktiviert dabei nach und nach Sound- und Lichtinstallationen. Diese geben dem ganzen Setting etwas theaterhaftes, die Objekte im Raum werden so auch denkbar als Teile eines Bühnenbildes, sie erscheinen nunmehr als Requisiten für die rituellen Aktionen des Künstlers. Mit der E-Gitarre bricht Grønlien schließlich den sakralen Gestus seiner Performance: zum Ende spielt er die eigene Komposition Song of the Green Lion.
Spirit World Rising ist eine geschickt inszenierte Collage aus kryptischen Bildern, die bis zuletzt völlig verschlüsselt bleibt. Hinter den theatralischen Gesten Grønliens findet sich nie auch nur eine Spur von „eigentlicher“ Bedeutung. Die Aufführung verpufft dabei aber nicht im Postmoderne-Diskurs über die Oberfläche, im Gegenteil: Mit viel Effekt und Tamtam öffnet Spirit World Rising einen Raum, indem sich die Suche nach rationalisiertem Sinn erübrigt und an diese Stelle die Ungewissheit freier Assoziationen tritt. So macht Grønlien schließlich das romantische Sehen eines Caspar David, Dahl, Oehme & Co. ungemein präsent, zwar nicht nach der Mystik der Natur oder der Religion, aber nach dem Mystischen überhaupt, nach irgendetwas, was unserer Phantasie Möglichkeiten und unserem Gefühl Anlässe verschafft. Sich so konsequent dem sinnlichen Erfahrungspotential der Kunst zu verschreiben – bloße Ästhetik zu betreiben – hat im aktuellen Kontext von Social Engaged Art, Artistic Research et cetera, fast etwas aufrührerisches, weshalb Anders Grønlien selbst dann positiv kritisiert ist, wenn man ihm Kitsch vorwirft.
andersgronlien.com; futuraproject.cz
Alle Fotos © Anders Grønlien.