Maximilian Stühlen

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Maximilian Stühlen kümmert sich wenig um die autoritäre Selbstreferenzialität der Kunst, er kostet diese viel lieber in ihrer Potenz, Medium zu sein, aus. Denn für den 27jährigen bedeutet seine Arbeit zu allererst die Möglichkeit, die intellektuelle Befragung von Themen und Konzepten in einer sich anschaulich vermittelnden Form materialisieren zu können, als dass es ihm darum ginge, Werke nur ihres künstlerischen Selbstwillens wegen zu produzieren, oder als Autor sich und sein Seelenleben in diesen auszudrücken. Selbstverständlich heißt das nicht, dass Stühlen keinen Stil hätte. Seiner Praxis eigen ist eine strenge Sparsamkeit der Mittel, deren visuelle Qualitäten er erforscht, provoziert und regelrecht zur Schau stellt. Die Arbeiten des Künstlers sind von einem atmosphärischen Raum umgeben, der sich zwischen der kühlen Sterilität und dem jedem Ornament entsagendem Schick seiner Objekte aufspannt. Es sind stringent reduzierte Settings einer Art ausgesprochen elegantem Brutalismus, die Stühlen kreiert. Wenn brutal die Wahrhaftigkeit des Materials, seines Sinns und Seins meint.

simple past, 2016

2016 entstand die Arbeit simple past im Kunsthaus Dahlem, das 1942 als „Staatsatelier“ von Hitlers Hausbildhauer Arno Breker eingeweiht wurde. Dort ließ Stühlen aus dem Keller der ehemaligen Skulpturenwerkstatt, wo einstmals die Plastiken Brekers lagern sollten, gleißend blaues, eiskaltes Licht in den Raum strahlen. Das minimalinvasive Lichtspiel mag vielleicht an Flavin oder Morellet erinnern, doch muten die schon eher als Formalisten an im Vergleich zum szenischen Charakter von Stühlens Arbeit, mit der er im visuellen Echoraum von Space Odyssey (und allen ihren Nachfolgern) das Atelier zum Raumschiff macht und die sonst kaum merkbare Bodenluke als Schleuse einer mystisch verklärten anderen Weltdimension inszeniert. Dabei aber steuert die Installation mehr noch als in futuristische Imaginationen ins Vergangene, lässt sie schließlich das ehemalige Depot Brekers und damit die ihrem Ort eingeschriebene Historie buchstäblich aufleuchten. Deren Komplexität ironisiert Stühlen in seinem Werktitel, ihre Diskontinuität übersetzt er ins Räumliche. Letztlich problematisiert Stühlen Geschichte als ein Präsentsein ohne Präsenz, macht er ausgerechnet dort auf diese aufmerksam, wo sie doch allgegenwärtig ist; es ist der Wink, dass da noch etwas ist, das nicht oder nie ganz verstanden, erklärt, überwunden, mancher würde sagen »bewältigt« ist.

Im Kontext der gesellschaftlichen Debatte zum Datengedächtnis des Internet, an deren politischem Ende die Datenschutzreform der EU und das darin festgehaltene Recht auf Löschung persönlicher Daten standen, kam Stühlen die Idee zu Right to be forgotten. Die schwarzen Wachsobjekte seiner Arbeit erscheinen unter diesem Horizont wie Verkörperungen digitaler Identitäten. In ihrer teils geschmolzenen Zellophanmumifizierung haben sie etwas ausgesprochen morbides. Ihre spezifischen Profile kleben gleichsam wie nicht mehr revidierbare Spuren auf den polierten Granitplatten, auf welchen sie ruhen. Eingehegt in den normierten Bereich dieser gleich großen Tafeln sind die Objekte, nunmehr als minder individuelle als viel mehr prinzipiell gleiche Teile, einem übergeordneten System zu- und darin eingeordnet. Letzteres als das www zu verstehen und dieses im Sandbett der Installation zu sehen wäre sinnfällig.

Völlig unabhängig von solch inhaltlichen Deutungsmöglichkeiten wirkt das Arrangement rein ästhetisch über die darin zusammengetragenen Materialien, die Stühlen wie Antipoden einander gegenüberstellt. Er kontrastiert starre mit flexiblen Massen, glatte und unebene Oberflächen, weiche und warme mit festen und kalten Qualitäten – und treibt unsere Betrachtung zur vergleichenden Charakterisierung, dass man bald glaubt, in der toten Materie so etwas wie ein eigenes Wesen erkennen zu können. Eine konzeptionelle Ähnlichkeit zeigt die Arbeit ###, wo sich zwei Stoffe in höchster Konzentration begegnen, sodass sich die Materialität schon zum Malerischen wandelt. Hier geht das Objekt in seiner bildhaften Anschaulichkeit auf.

Colorshift, 2017. Drei ihrer Form nach unmittelbar an solche von Kunsttransporten erinnernde Kisten sind in einem Raum verteilt: eine steht, eine liegt, eine hängt reliefähnlich in etwa genau der schmerzhaften Höhe zu kurz unter der Decke, in der man auch gedruckte Regentropfen-Triptychen über Ecksofas findet. Nun ist das naheliegendste aller Rätsel einer Kiste die Frage nach ihrem Inhalt. Doch Stühlen hat seine Exemplare so fancy lackiert – schau‘ sich einer dieses Mintbonbon-Blassblaugrün und erst diese galaktische Universe-Patina an! –, dass wir an deren Oberfläche hängen bleiben und gar nicht mehr über das unsichtbare Innere nachzudenken vermögen. Klar, diese geleckte Ästhetik ist prädestiniert dazu, einem wiederkäuenden Postmoderne-Diskurs Anlass zu sein, dem’s nur noch um surface geht. Natürlich könnte man auch Kritik am Markt sehen und seiner Indifferenz gegenüber dem Inhalt solcher Kisten, die sich als Spekulationsobjekte irgendwo bei den fröhlichen Schweizern in Freizolllagern stapeln.

colorshift, 2017, MDF lackiert, DIN-A3-Drucke

Spannend ist aber, wie Stühlen mit den drei Kisten die Wirkrichtung seines Materialeinsatzes im Vergleich zu früheren Arbeiten diametral verkehrt. Er shiftet vom, irgendwie echten, visuellen Effekt eines ausgewählten Stoffes zur Evokation einer illusionären Materialität, die vorgibt etwas anderes zu sein als ihre stoffliche Realität. Die Farbe, genauer den farbigen Lackfilm, überführt Stühlen in die Suggestion von Kunststoff, Metall, Glas. Das sind aber nur assoziative Behelfe, denn die merkwürdige Eigenart dieser Kisten besteht in einer Haptik, die auf dem Display wie in realiter völlig gleich, nämlich unfassbar ist. An der Wand zeigt Stühlen Makrofotografien eines Experiments mit verschiedenen Bildträgern und Malmitteln, die auf ähnliche Weise täuschen. Unser wiedererkennendes Sehen, wie Max Imdahl es bezeichnen würde, registriert in diesen Reproduktionen unschwer Farbschlieren und setzt sich darüber hinweg, dass es sich dabei tatsächlich nur um gedruckte Tinte handelt, die das dargestellte Material lediglich re-präsentiert (das würde Imdahl dann sehendes Sehen nennen).

So würde ich colorshift als eine angestrengte Reflexion über das Wesen und die Wirklichkeit der Materialität überhaupt werten. In Stühlens jüngster Arbeit tauchen wieder Kisten auf, die coolen Lacke aber sind verschwunden und alles kommt nun in monochromer Eierschalenfarbe. Was eben noch höchst artifizielle Objekte waren, die sagen: Ceci n’est pas une caisse, sind jetzt crates in space, welche dank des deutlich hochgeschraubten Maßstabes mehr als Skulpturen wirken und selbst schon raumkonstituierende Qualität haben. Darin eingelassen sind Bildschirme, auf denen Stühl’sche Kisten in einem Wolkenmeer fliegen, über Wasser schweben und durch einen Datenstrom schießen. In der Unendlichkeit dieser fiktionalen Räume sind die Kunstobjekte ortlos und damit absolut ungreifbar. Vielleicht also widmet sich Max Stühlen fortan, nach seiner künstlerischen Untersuchung der Materialität, der Erforschung des Raumes. To be continued.


Maximilian Stühlen (*1991), studierte von 2012 bis 2018 an der HfbK Dresden in der Klasse Interdisziplinäre Malerei von Prof. Christian Sery, sowie 2016 an der Leeds University for Fine Arts & Cultural Studies. 
www.maxstühlen.com

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Porträt einer Frau, 15. Jhd

Rogier van der Weyden, Porträt einer Frau, 15. Jhd.

„(…) denn es ist etwas sehr Angenehmes, Kunstwerke zu besehen, die Gedanken und Reflexionen, welche dabei vorkommen können, aufzufassen, die Gesichtspunkte sich geläufig zu machen, die andere dabei gehabt haben, und so selber Urteiler und Kenner zu werden und zu sein.“
—  Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 1835-38

„(…) ob also Geschmack ein ursprüngliches und natürliches, oder nur die Idee von einem noch zu erwerbenden und künstlichen Vermögen sei, so daß ein Geschmacksurteil, mit seiner Zumutung einer allgemeinen Beistimmung, in der Tat nur eine Vernunftforderung sei (…): Das wollen und können wir hier noch nicht untersuchen.“
—  Kant, KdU, 1790