Im Dresdner Albertinum gibt es zur Zeit zwei sehr gelungene Räume zu sehen. Das Museum interveniert im eigenen Haus und okkupiert die benachbarte Kunsthalle im Lipsiusbau mit einer Arbeit Susan Philipsz‚. Beide Präsentationen begegnen einem bemerkenswert reduziert, was die Frage aufwirft, ob sie trotzdem oder gerade deshalb so stark wirken und schön anzusehen sind. Den Auftakt zur Sammlung im Obergeschoss des Albertinums macht nun ein Raum unter dem Titel „Deutscher Wald“. Luftig sind dort drei größere und fünf kleinere Formate gehängt, deren Auswahl sich auf das 19. Jahrhundert beschränkt und damit dem Rundgang der Sammlungspräsentation treu bleibt. Durchbrochen wird diese Chronologie von einer zeitgenössischen skulpturalen Arbeit von Katharina Grosse, die schon auf Grund ihrer Größe und schrillen Farbe den Saal in Spannung versetzt. Ein keiner Text an der Wand verweist auf den Wald als ein geistesgeschichtliches Phänomen, nämlich als Projektionsfläche und Ort kultureller Selbstvergewisserung und als ein Motiv, um welches deshalb vielfältige Bedeutungskomplexe gestrickt sind.
Inwiefern das etwas besonders deutsches ist, müsste an anderer Stelle noch genauer erörtert werden, aber weil Wald, Bäume und Holz hierzulande tatsächlich in besonderem Maße zum identitätsstiftenden Medium avancierten – weil man die vielen Facetten eines hochkultivierten Deutschseins wohl nie trefflicher als im Sinnbild einer Eiche artikulieren könnte – so soll der etwas aufreibende Titel der Ausstellung zunächst gerechtfertigt sein. Entsprechend des Themas zeigen natürlich alle acht Malereien in dem Raum das selbe, womit alles erst einmal fast zu simpel aussieht. Spaziert man aber an all den Wäldern vorbei, so wird man allmählich den Unterschieden gewahr, die zwischen ihren Bäumen und ihren unterschiedlichen Grüntönen durchscheinen, die hinter dieser Natur liegen. Was hat eigentlich Oehmes verheißungsvoller Blick in das Waldinnere, ein vieldeutiger Ort überspannt von dichtem Astwerk gleichsam schützend wie in unheimliche Dunkelheit getaucht – was hat diese mystische Tiefe des Waldes mit Leonhardis opulentem Panorama gemein, welches alle natürlichen Bestandteile eines Waldes so wunderbar zusammenkomponiert, dass sie auf der Landwand zu einem ganz und gar künstlichen Etwas verschmelzen.
Romantische Natursehnsucht und rigorose Naturferne akademischem Kunstkönnens stehen sich hier gegenüber. Ähnlich antithetisch verhalten sich Rayskis Wermersdorfer Wald, im Eigentlichen das Porträt einer Eiche, und die erwähnte Skulptur von Grosse. Ersterer lässt all die nationalverpflichteten Bewirtschaftungen dieses Baumes anklingen, wie er die mächtige Eiche unter widrigen Bedingungen auf weite Flur neben lauter dürre Birken stellt, Grosse zitiert sie nur noch als ehemaligen Träger solcher Bedeutungen. Man muss die Aufsicht schon an die Grenze ihrer Gutmütigkeit bringen und ganz, ganz dicht an das Objekt herantreten, um unter den satt verlaufenden Farben das Holz von dem Kunststoff zu unterscheiden, der mit in die Installation eingebunden ist. So ist die gute deutsche Eiche ihren Materialeigenschaften beraubt und verliert all ihren metaphorischen und symbolhaften Wert – sie ist jetzt Mittel eines effektvollen Spektakels. Das gelingt Grosse auf ganzer Linie, ihre gefallene Eiche liegt geradezu bombastisch dar.
Study for Strings lässt die Violin-, Viola- und Cellostimmen des Stücks Studie für Streichorchester wieder erklingen, welches der Komponist Pavel Haas 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt schrieb. Für einen Propagandafilm der Nationalsozialisten über das Lager in Terezín ist die Komposition eben dort auch einmal zur Aufführung gekommen. Jetzt drängen die Töne der Komposition aus zwölf schlanken Lautsprechern, die pfahlähnlich im entleerten Saal des Lipsiusbaus ragen. Die Akustik in dem Raum ist ausgezeichnet, die widerhallenden Klänge könnten seine lichte Weite gänzlich erfassen. Aber immer wieder verstummt der Sound und statt sich über den Saal auszubreiten und diesen zu füllen, bricht er immer wieder abrupt über sich zusammen. Aus den Lautsprechern erklingen nur ein, zwei Takte, ehe sie wie abgeschnitten werden und andere zu spielen beginnen. Intuitiv treibt es einen so, die Musik zu verfolgen und von Lautsprecher zu Lautsprecher zu gehen. Damit konstituiert sich eine ganz spezifische Relation aus Raum und Ton und Susan Philipsz gibt sich als die Bildhauerin zu erkennen, die die Soundkünstlerin ihrer Ausbildung nach ist.
Der Lipsiusbau wurde als Ort der Präsentation von Philipsz‘ Installation klug ausgewählt, sodass die Arbeit hier wie ortsspezifisch wirkt. So ist die wiederhergestellte Architektur der Ende des 19. Jahrhunderts errichteten und im zweiten Weltkrieg zerstören Kunsthalle von Brüchen durchzogen, wie es auch die Study for Strings ist. Diese enttäuscht jede freudige Erwartung einer Melodie immer wieder nur mit Unterbindung, Unvollkommenheit, sie könnte an den Charakter eines Klageliedes erinnern. Und hier wie dort, am Bau wie in Philipsz‘ künstlerischer Umformung der Komposition, bezeugt die Fragmentierung die gleiche düstere Historie. Von dieser und ihren Schicksalen schließt die Soundinstallation sodann einen ganzen Assoziationshorizont auf. Plötzlich erkennt man in den jähen Zäsuren des Tons all die Zerstörung wieder, die der Nationalsozialismus am Menschen und im Nichtmaterialen anrichtete – im Hören scheint man zu Erfahren, wie Biographien, Familien, Menschen abgebrochen, durchbrochen, gebrochen wurden.
Sicherlich begünstigt durch das Zusammenspiel mit dem Ort der Präsentation, entfaltet die Soundskulptur Susan Philipsz‘ eine ungemeine Eindrücklichkeit. Die Arbeit lässt zudem, und darin tut es ihr der Wald-Raum in der Sammlung des Albertinums gleich, den Funken vom Erlebnis zur Reflexion überspringen, ohne dass einem die denkbaren geistigen Inhalte von vornherein aufgebürdet worden wären. In beiden Räumen wurde das Vermittlungsarsenal erfolgreich zurückgezogen und mir scheint, dass beide Räume deshalb so schön sind, weil sie nicht erklären wollen, sondern einfach wirken lassen.
Susan Philipsz. Separated Strings. Noch bis zum 6. Mai 2018 in der Kunsthalle im Lipsiusbau.
Deutscher Wald. Noch bis zum 12. Juni 2018 im Albertinum.