Eine Frage des guten Geschmacks

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Zuletzt war es der schöne Hylas, den John William Waterhouse Ende des 19. Jahrhunderts in seiner verzückenden Jugend und im Beisammensein mit allzu bezirzenden Nymphen auf die Leinwand brachte, sodass er von einer britischen Museumswand weichen musste und ins Depot verbannt wurde. Zuvor war es die sich verträumt reckende und ihre Schenkel preisgebende Thérèse von Balthus, die der Meinung von 12.000 Petitionisten zufolge im New Yorker Metropolitan-Museum abgehängt werden sollte. Hierzulande erregte der vorpubertäre Amor aus der Berliner Gemäldegalerie schon vor einigen Jahren die Gemüter, wohl weil Caravaggio das Geschlechtsteil seines nackten Knaben kompositorisch zu sehr in den Fokus gerückt hatte.

John William Waterhouse: Hylas und die Nymphen, 1896, Öl auf Leinwand, 132 × 197cm, Manchester Art Gallery

Hylas, Thérèse, Amor und all ihre Verwandten in der Kunst nackter Frauen, Männer und Kinder – das ist wie Dynamit in dieser brandheißen Diskussion, die vor einigen Wochen in einer kalifornischen Traumfabrik zu schwelen begann, zunächst die digitalen Communitys ansteckte, ehe sie dann zum gesellschaftlichen Großbrand wurde und die nun vor den Museumstüren lodert. Die Kunst scheint für diese Debatte geradezu prädestiniert, in den Ausstellungssälen entzündet sie sich funkensprühend an einem Feuerwerk des Obszönen: bares Fleisch, gespreizte Glieder, schlüpfrige Berührungen.

Hier angekommen, ist der Diskurs aber bedauerlicherweise hoffnungslos fehlgeleitet. Wenn die Manchester Art Gallery ihren Hylas abhängt, um damit eine Diskussion über Sexismus in der Kunst anstoßen zu wollen, dann beweist sie damit eigentlich nur, dass das Museum die Thematik genauso kleinkartiert denkt, wie jene Bürgerschaft, die fordert, den Berliner Amor aus dem Verkehr zu ziehen. [1] Was an dieser Stelle von manchem Journalisten als Zäsur von Unten bezeichnet wird, trägt den Anstrich eines biederen Konservatismus, der die Debatte grundlegend missversteht.

Michelangelo Caravaggio: Amor als Sieger, 1602, Öl auf Leinwand, 156 x 113 cm, © Gemäldegalerie Berlin

Ein Diskurs über Sexismus sollte doch über die Diskriminierung der Geschlechter in und durch unsere Gesellschaft diskutieren. Er sollte evidente Aspekte wie die kultivierte männliche sexuelle Belästigung an der Frau – Misogynie als die „materiellen Praktiken“ – ebenso anklagen, wie er nach tieferliegenden Mechanismen forscht, die eine Ungleichheit von Frau und Mann produzieren – eigentlicher Sexismus: die Diskriminierung innerhalb der „soziale(n) Ordnung des Patriarchats“ (Katharina Hausladen, Texte zur Kunst, Heft 109, S. 39). An der Darstellung von baldigem, einvernehmlichem Gruppensex aber ist nichts misogyn und auch nichts sexistisch – das sind vielleicht einige der Gedanken des Betrachters, die das Bild evoziert. [2]

Wenn man also pure Nacktheit als obszön abstempelt und mal mehr mal weniger subtile Erotik zur Pornographie überhöht, hat man zwar kein Wort zum Sexismus gesagt, bekräftigt aber Vorstellungen von Sexualität und dem Umgang mit ihr, die kulturell aus einer Zeit mindestens vor den 68er stammen. Hierin trägt sich eine Dynamik genuin repressiver Natur, die kaum einen Beitrag zu einer Debatte leisten kann, die progressiv auf die kulturell-historisch determinierten Verhältnisse unserer Gesellschaft einwirken will. Es trägt eben nicht zur Gleichheit der Frau bei, wenn ihre nackten Abbilder versteckt werden. Ganz im Gegenteil:

Indem so die erotisierenden, herabsetzenden Reaktionen des Publikums vorweggenommen und damit als kulturelle Norm bestätigt werden – eine Frau und ihr Körper dienen der Befriedigung sexuellen Begehrens, daher kann man gar nicht anders, als sich eine nackte Frau lüstern anzuschauen – ist eine solche Zäsur sogar affirmativ.

Wenn wir in dieser fehlgeleiteten Diskussion alle Werke der Kunstgeschichte mit diesen falschen Maßstäben messen würden, so wären wohl einige Museumshallen bald wie leergefegt. Vor allem, weil auch massenweise Männer verschwinden müssten, man denke nur an die Armada antiker Skulpturen, die allesamt nackt und häufig von männlichem Geschlecht sind. Es ist aber anzunehmen, dass anregende Exemplare wie etwa der Barberinische Faun aus der Münchner Glyptothek, oder Michelangelos großer David stehen bleiben dürften – weil in diesen Herren eben keine Sexobjekte gesehen werden. Der nackte, gut gebaute Mann ist Repräsentant, er steht für Tugenden, Ideale, oder was auch immer. Das ist Sexismus.

Würde man mit und in der Kunst einen sinnvollen Beitrag zu der aktuellen Debatte leisten wollen, gelte es subtile Sexismen aufzudecken, wie sie unter solchen tradierten Deutungsschemata schlummern. Und man müsste Fragen stellen, welche, wie Hanno Rauterberg in der ZEIT richtig konstatiert, die Institutionen viel zu selten oder lange Zeit gar nicht interessierten, weil sie auf die historisch-systematische Ungleichberechtigung des Kunstbetriebs verweisen. So könnte man den immer noch erschreckend geringen Frauenanteil sowohl in der Produktion, wie in den Museen und Gremien kritisch reflektieren. Man würde feststellen, dass noch bis zum Beginn des letzen Jahrhunderts ein „Frauenstudium“ fast allerorts verboten war und Künstlerinnen, die deshalb eine private Ausbildung verfolgten, als „Malweiber“ tituliert wurden.

Das alles ließe sich doch auch wunderbar in Ausstellungen verarbeiten. In Die Diskriminierung der Frau im Pariser Salon des 19. Jahrhunderts etwa könnte man das oben beschriebene „moderne“ Frauenbild anhand der Venusdarstellungen dieser Zeit vorführen – und deren ästhetische Gültigkeit aufzeigen, immerhin kann sich heute jeder Mann für 34$ eine Venus über’s Bett hängen. Die Mammutshow Paula Modersohn-Becker und die Malweiber würde alle Malerinnen versammeln, deren Arbeit und Karriere allein auf Grund ihres Geschlechts eingeschränkt, behindert, oder gar unterbunden wurde.

Endlich könnte eine künstlerische Arbeit mit dem Titel Keine Frau die jüngst zurückliegenden, aber nur zu selten beachteten Errungenschaften im leidenschaftlichen Kampf um die Gleichheit von Mann und Frau ins Lichte der Aufmerksamkeit rücken: An der Wand hängt ein Baselitz, ganz egal welcher, davor weht einsam aber stolz eine Flagge mit weißem Kreuz auf rotem Grund, dazu erklingt Johann Strauß‘ Wiener Blut – Reminiszenzen an das 1971 eingeführte Frauenwahlrecht in der Schweiz, an den couragierten Vorstoß der Wiener Philharmoniker, die sich 1997 dazu durchringen konnten, auch Damen in ihren Reihen zu dulden und schließlich auch in Erinnerung an Georg Baselitz‘, der einmal erklärte, dass Frauen einfach nicht so gut malen könnten wie Männer.


[1] Die Forderung nach dem Abhängen des Amor kam in Berlin während einer Diskussion über Kinderpornographie, in Folge der Edathy-Affäre auf.
[2] Bemerkenswert ist, dass es sich bei Waterhouse Szene obendrein um aktive, handelnde Frauen handelt, die den (eigentlich in einer Beziehung mit Herkules lebenden) Hylas verführen.

 

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Porträt einer Frau, 15. Jhd

Rogier van der Weyden, Porträt einer Frau, 15. Jhd.

„(…) denn es ist etwas sehr Angenehmes, Kunstwerke zu besehen, die Gedanken und Reflexionen, welche dabei vorkommen können, aufzufassen, die Gesichtspunkte sich geläufig zu machen, die andere dabei gehabt haben, und so selber Urteiler und Kenner zu werden und zu sein.“
—  Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 1835-38

„(…) ob also Geschmack ein ursprüngliches und natürliches, oder nur die Idee von einem noch zu erwerbenden und künstlichen Vermögen sei, so daß ein Geschmacksurteil, mit seiner Zumutung einer allgemeinen Beistimmung, in der Tat nur eine Vernunftforderung sei (…): Das wollen und können wir hier noch nicht untersuchen.“
—  Kant, KdU, 1790