Lara Schnitger

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Lara Schnitger steht auf Trash. Das textile Potpourri, in das Sie Ihre Holzskelette kleidet, kreischt in Samt, Plüsch oder Leopard nach den neo-neobarocken-neon 80er, wie es Omis ach zu heimelige Stube mit ihren Rüschengardinen, Spitzendeckchen und Kätzchenmotiven zitiert. Bei Schnitger findet man alles was das Herz begehrt, nur kaum etwas, was dem entsprechen könnte, was man einem zeitgemäß durchschnittlichen Modegeschmack zumuten dürfte. Trotzdem sind ihre collagenartig angezogene Figuren mehr als Karneval. Ganz im Gegenteil, an Verkleidung ist gar nicht zu denken. Dafür kommt einem alles irgendwie viel zu bekannt, vertraut vor. Und genau in dieser trügerischen Stimmigkeit liegt die Sprengkraft der Arbeit Schnitgers.

Killed by Ornament, 2014

In unwiderstehlicher Aufdringlichkeit biedern sich Ihre Plastiken nämlich mit einem großen Thema an: Weiblichkeit. Es scheint unvermeidlich, beim Betrachten ihrer Arbeiten an die Frau zu denken, aber als sei es damit nicht genug, assoziiert man in gleichem Automatismus weiter: Mode, Häuslichkeit, Verspieltheit, vielleicht sogar Mutterschaft – willkommen im semantischen Feld der Weiblichkeit. So lockt die Künstlerin den Betrachter mit Ihren Arbeiten in die Falle eines gesellschaftlich determinierten Geschlechterbildes mit samt den ihm angehängten Attribuierungen und Zuschreibungen.

Der hohe Abstraktionsgrad gibt Schnitgers Figuren eine Komplexität, die dazu auffordert, sich diese noch einige male anzuschauen. Mit der gerade aufgeschlossenen Vorstellungswelt im Kopf zwingt das zur Befragung des eigenen Wahrnehmungsprozesses. Was genau empfindet man an den Plastiken Schnitgers eigentlich als weiblich? Nirgends kann man in ein Paar Augen blicken, Köpfe fehlen häufig gänzlich. Statt an Frauen, Menschen, erinnern die Figuren mit ihren gestörten Proportionen eher an Hybride zwischen Mensch und Maschine, an düstere mythologische Wesen, haben animalischen Charakter.

Es ist diese Motivation zur Selbstreflexion, in welcher Lara Schnitger Ihr großes Potential entfaltet. Und in deren Resultat deckt Sie auf, wie abstrakt und konstruiert die in unserer Kultur geltende Vorstellung eines Geschlechts, einer Frau ist – und wie deshalb schon Textilien, ihre Musterung oder Verarbeitungsweise nur schwer aufzulösenden Konnotationen unterliegen, welche diese mit einem solchen Rollenbild rückkoppeln. Arbiträr nennt die Kommunikationswissenschaft ein Zeichen, das willkürlich  gewählt wird, wenn also zwischen Repräsentant und Bezeichnetem nicht eigentlich ein sinnvoller Zusammenhang besteht. Derart arbiträr sind die von unserer Gesellschaft eingeübten Codes, mittels derer wir uns über Geschlechtlichkeit verständigen und denen selbstverständlich auch der sich als geschulter Seher verstehende Kunstkenner unterliegt. Es scheint angezeigt, diese Konventionen zu überdenken.

Up In There, 2015, Holz, Harz, Sweatshirt, Pailletten, Baumwolle, 236 × 99 × 99 cm

Schnitger vermag es aber auch den Spieß umzudrehen und nicht den Betrachter mit seinen Vor-Urteilen, sondern ihre These direkt vorzuführen. Wenn Sie etwa einem Ihrer Gebilde zwei armähnliche Lappen verpasst, an deren Enden Stilettos anhängt und dort, wo physiologisch ein Kopf sinnvoll wäre, den Stoffbespann ovalförmig auftrennt – das angeprangerte Frauenbild wird hier nicht erst in der Rezeption evoziert und dann reflektiert, sondern dieser notwendige geistige Prozess radikal reduziert, im Gleichklang mit der sich gesellschaftlich vollziehenden Reduktion der Frau, etwa auf ihr Äußeres oder ihre Gebärfähigkeit.

Die Qualität des doch recht kämpferischen Feminismus Schnitgers liegt wohl in Ihrer Fähigkeit, zu politisieren und zu kritisieren, dabei aber zugleich Werke zu kreieren, deren Anschauungswert in gleichem Maße auch für sich alleine steht. Ihre Arbeiten sind an einer Schnittstelle zwischen der Männerdomäne Bildhauerei und dem Frauenfeld der Textilkunst – man erinnere sich an die ungewollt scharfe Geschlechtertrennung in den Bauhauswerkstätten – verortet, wo Schnitger eine ganz eigenwillige und innovative Form entwickelt hat, in der Sie Ihre künstlerische Intention umsetzt. Die halb abstrakten, halb figuralen Plastiken wecken Reminiszenzen an Modezeichnungen, ebenso wie deren Materialzusammenstellung wirkt, als hätte man sich gerade vom Musterbuch eines Textilherstellers inspirieren lassen und nun entwurfsweise aber gekonnt verschiedenste Stoffe an einer Schneiderbüste drapiert. So artikuliert Schnitger einen ernst zu nehmenden Sinn für Mode und Textilgestaltung.

Damit gelingt Schnitger, was viele auf der 14. und diesjährigen documenta, welche sich bekanntlich die Kritik einverleibt und die Politik auf die Fahne der Kunst geschrieben hatte, vermissten. Allzu oft musste man in Kassel vor Arbeiten stehen, die zwar lobenswerterweise auf wichtige, brisante, anzuklagende Zu- und Umstände unserer globalen Gegenwart aufmerksam machten, diese politische Dimension für deren Entstehung aber derart hegemonial gewesen sein musste, sodass die Grenze zwischen Kunst und Journalismus, Filmdokumentation, politischem Aktivismus usw. nicht nur inspirierend und anregend verwischt wurde, sondern zu Ungunsten des Werkes als einem genuin künstlerischen Objekt aufgehoben schien. Da gab es dann keinen sinnlichen Zugang, keine Ästhetik mehr und man wusste nicht länger, ob Kunst überhaupt beides kann: politisch sein und dabei Kunst bleiben. Lara Schnitger kann das.

www.galerie-gebr-lehmann.de

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Porträt einer Frau, 15. Jhd

Rogier van der Weyden, Porträt einer Frau, 15. Jhd.

„(…) denn es ist etwas sehr Angenehmes, Kunstwerke zu besehen, die Gedanken und Reflexionen, welche dabei vorkommen können, aufzufassen, die Gesichtspunkte sich geläufig zu machen, die andere dabei gehabt haben, und so selber Urteiler und Kenner zu werden und zu sein.“
—  Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 1835-38

„(…) ob also Geschmack ein ursprüngliches und natürliches, oder nur die Idee von einem noch zu erwerbenden und künstlichen Vermögen sei, so daß ein Geschmacksurteil, mit seiner Zumutung einer allgemeinen Beistimmung, in der Tat nur eine Vernunftforderung sei (…): Das wollen und können wir hier noch nicht untersuchen.“
—  Kant, KdU, 1790