MMM #1: Agnes Martin

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It’s just another manic modern monday. Der kanonischen Diskurs um die kanadische Malerin Agnes Martin (1912–2004) kann geradezu als Paradebeispiel herhalten für das Problematisieren kunsthistorischer Zuschreibungen ausschließlichen Charakters. Differenzen in den Orientierungsmöglichkeiten künstlerischer Werke gehören nicht per se angeprangert, sind diese doch vielmehr Ausdruck eines legitimen Maßes an Subjektivität und einer unauflöslichen Kulturbedingtheit im Betrachten wie Bedenken von Kunst.

Im Casa Martin allerdings ist die Widersprüchlichkeit der Schlüsse, die aus dem Werk der Künstlerin gezogen werden, mehr oder minder frappierend. So wird Sie zumeist  jenem Sammelbecken nur unzureichend voneinander differenzierter Einzelpositionen subsumiert, das unter der Etikette des Abstrakten Expressionismus firmiert, oder in der Strömung der Minimal Art verortet. Nun sollte sich einige Irritation breitmachen, wurde letzteres (MA) doch zwecks gezielter Agitation gegen ersteres (AE) aus der Taufe gehoben. Hinter den beiden unterdessen klassisch-modern avancierten Bewegungen stehen also mitunter antagonistische künstlerische Ideen, Bestrebungen und Ausdrucksweisen.

Das Bild: Untitled #5

Machen wir uns ein eigenes Bild: schauen wir uns ein Werk von Agnes Martin an und loten daran die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten aus, Martin kunsthistorisch zu kategorisieren. Bei dem Bild Untitled #5 fällt sofort die die stark reduzierte Komposition ins Auge, wie sie aus dem minimalistischen Form- und Farbgebrauch Agnes Martins resultiert. Martin staffelt die quadratische Bildfläche horizontal in sieben nahezu gleichgroße Parzellen, welche in den Grundfarben koloriert und durch feine Graphitstriche voneinander getrennt sind. Am oberen Bildrand steht Blau, darunter Rot, dann Gelb, woraufhin sich diese Farbfolge einmal wiederholt, der siebte, letzte Streifen am unteren Bildrand ist erneut in Blau gefärbt.

Untitled #5, 1998, Acryl und Bleistift auf Leinwand, 152 x 152 cm, Kunstsammlungen NRW, © VG Bild-Kunst Bonn, 2014

Bemerkenswert ist, wie Martin den in der Gemeinsamkeit der Primärfarben angelegten starkbunten Kontrast in der Wahl äußerst heller Tonwerte abdämpft. Ihre Pastellfarben erscheinen derart transluzent, sodass ihnen jede Intensität zum Kontrastieren fehlt. Damit ist das Bild  weniger durch einen bunt-kontrastreichen, denn durch einen die drei Farben einigenden Farbklang bestimmt, der kühl, sehr licht und fern wirkt.

Bei näherer Betrachtung erweist sich noch weiteres an dem Bild als außergewöhnlich. So erwecken die beschriebenen Bleistiftlinien nämlich nur oberflächlich den Eindruck geometrischer Exaktheit, in der Nahsicht aber zeigen sie zittrige Ausschläge, welche gerade vom Verzicht Martins auf technische Hilfsmittel zeugen. Tatsächlich ist damit keine einzige der Linien, welche die Bildfläche so scheinbar gleichmäßig gliedern, wirklich gerade oder parallel zu den anderen. Ebenso wenig werden die Farbfelder gleiche Abmessungen besitzen, lässt sich schlicht eine 152,4 Zentimeter hohe Leinwand niemals in sieben gleiche Partien einteilen. All die zeichnerischen Ungenauigkeiten in Untitled #5 stehen zugleich exemplarisch für eine Vielzahl der Werke Agnes Martins. Damit muss die attestierte Imperfektion des Bildes als stilistisches Mittel und unbedingt als künstlerisch intendiert erachtet werden.

Martin schlägt dem flüchtigen Blick, der Ihrem Werk einen konstruktivistischen Charakter zuschreiben wollte, also ein Schnippchen. Gleichzeitig findet auch der dem Bild eingeschriebene repetitive Rhythmus des Taktes Blau-Rot-Gelb, in welchem man die Leinwand unumgänglich liest, am unteren Bildrand ein unsanftes Ende, weil die Künstlerin hier eine letze rote und gelbe Partie ausspart. Anstelle einer Komplettierung des Ensembles – der Garantie von Homogenität und harmonischer Ausgeglichenheit – kreiert Agnes Martin ein weitaus komplexeres Gefüge. Hier veranschaulicht sich das umfassende und bestimmende Thema von Untitled #5: Die sensible Variation formaler Mittel, in welcher sich (zu) eilig attestierte bildliche Gegebenheiten in ein fundamental Anderes verkehren. Vom Betrachter fordert Martin damit die immer neue Betrachtung und ständige Revision seiner Urteile ein.

Abstrakter Expressionismus  vs.  Minimal Art

Ruft man sich einmal das Bild Martins in Erinnerung und scheint dabei dessen pastellene Farbe nur flüchtig in unserem inneren Auge auf, so tritt doch unmittelbar seine fundamentale Verschiedenheit zum Abstrakten Expressionismus hervor. Der Gegensatz zwischen der überaus poetischen Ästhetik Martins, die allem voran aus der dezenten Farbigkeit von Bildern wie Untitled #5 erwächst, und der farbstarken, lauten Präsenz des Hard Edge oder Color Field Painting ist schließlich evident. Während diesbezüglich wohl einzig Mark Rothko eine Ausnahme bildet und eine gewisse Ähnlichkeit zu Martins Farbgebrauch artikuliert, sind für die Arbeiten etwa eines Barnett Newman oder Morris Louis gerade jene farblichen Kontraste und die daraus resultierenden Wirkungen konstituierend, welche Martin wie dargestellt explizit umgeht.

Eine weitere Differenz markiert Martin mit dem Format Ihres Bildes. Die genannten abstrakt-expressionistischen Strömungen arbeiteten vornehmlich auf übergroßen, manch einmal geradezu riesenhaften Leinwänden, oder aber fielen mit ihren irregulären Formen wie bei Ellsworth Kelly  als „Shaped Canvas“ auf. Während sich hier also verschiedene künstlerische Intentionen erkennen lassen – das Schaffen eines neuen Bilderlebens durch die völlige Vereinnahmung des Blickfeldes des Betrachters, die Idee des Bildes selbst zur Disposition zu stellen, indem man diesem eine neue Form gibt – bekennt sich Agnes Martin zum lediglich mittelgroßen Format in konventioneller, meist sogar quadratischen und damit denkbar einfachsten Form.

In mehrerer Hinsicht unterscheidet sich Agnes Martin also vom Schaffen der Abstrakten Expressionisten in den USA. Diese Unterschiede sind es aber zugleich, welche ihren Arbeiten ein Erscheinungsbild verleihen, das sie durchaus in die Nähe der Minimal Art rückt. So schafft insbesondere die innerbildliche Serialität wie man sie in Untitled #5 erkennen kann, welche aber auch das für Martin exemplarische Rastermuster verbildlicht – eine Betonung der Linie insgesamt – optische Parallelen bspw. zu Arbeiten von Frank Stella oder Sol LeWitt. Allerdings sind es die beschriebenen Unreinheiten zeichnerischer Elemente bei Martin, welche sich völlig gegensätzlich verhalten zu der wenn nicht gar maschinell produzierten, dann aber doch derart anmutenden Konstruiertet und mathematisch-geometrischen Akkuratesse der Minimal Art.

Carl Andre: Trabum, 1960-77, Holz, 30 x 30 x 91 cm, Guggenheim Museum, © Carl Andre/Licensed by VAGA, New York, NY

Abschließend noch ein paar Worte zur Bedeutung des Materials. Für Agnes Martin stellt das Material – zumeist Acrylfarbe auf Leinwand – bloßes Mittel zum Zweck dar, es ist unverzichtbares Instrumentarium zum Schaffen einer Malerei, welche das Medium der Künstlerin ist. Für eine Vielzahl der Minimal-Künstler dagegen stand der Einbezug neuerartiger und besonders industrieller Materialien am Beginn des intentionalen Werkprozesses. Material ist hier nicht Weg zur Thematisierung, sondern das Thema selbst. Auch deshalb genießen vielerlei plastisch-skulpturale wie raumbezogene Arbeiten der Minimal Art große Popularität, da die Auseinandersetzung mit Glas, Aluminium oder Stahl offenkundig und gleichermaßen naheliegend zur Inanspruchnahme der dritten Dimensionen motivierte.

 

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Porträt einer Frau, 15. Jhd

Rogier van der Weyden, Porträt einer Frau, 15. Jhd.

„(…) denn es ist etwas sehr Angenehmes, Kunstwerke zu besehen, die Gedanken und Reflexionen, welche dabei vorkommen können, aufzufassen, die Gesichtspunkte sich geläufig zu machen, die andere dabei gehabt haben, und so selber Urteiler und Kenner zu werden und zu sein.“
—  Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 1835-38

„(…) ob also Geschmack ein ursprüngliches und natürliches, oder nur die Idee von einem noch zu erwerbenden und künstlichen Vermögen sei, so daß ein Geschmacksurteil, mit seiner Zumutung einer allgemeinen Beistimmung, in der Tat nur eine Vernunftforderung sei (…): Das wollen und können wir hier noch nicht untersuchen.“
—  Kant, KdU, 1790