Dresdner Schätze

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Mag es derzeit auch überraschen über die Hauptstadt Sachsens zu schreiben, erscheint es an dieser Stelle gar in doppelter Weise als angebracht. Immerhin glauben die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, sich auf den ältesten öffentlichen Museumsraum der Welt zu gründen – eine heißbegehrte Titulatur, die schon so manches mal ihren Herrn wechselte. Kein Zweifel herrscht indes am Weltrang der Dresdner Sammlungen und ihren 15 Häusern. Gemäldegalerie, Porzellansammlung, Grünes Gewölbe – das ist die Champions League unter den Museen. Andererseits kann vielleicht auch hier, im Schatten dieser allmontäglichen Peinlichkeiten einer medial überrepräsentierten Bevölkerungsminderheit, ein Beitrag dazu geleistet werden, die Außenwahrnehmung Dresdens wieder neu zu justieren. Gerade jetzt scheint es doch geboten, auf den kulturellen und künstlerischen Reichtum dieser schönen Stadt aufmerksam zu machen. Schließlich ist es die erstaunliche, wundersame und außerordentliche Kunst in Dresden, in der jene Humanität schlummert, die mancher hier schon verloren glaubte. Es war fuchsig und rührend zugleich, wie die Kulturbetriebe der Stadt im Jahr 2015 den selbsternannten Rettern des Abendlandes vor ihren Türen begegneten:

„Wir sind kein Bühnenbild für Fremdenhass“ prangerte über der Pforte der Semperoper, die Philharmonie zitierte Schiller: „Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben. Bewahret Sie!“ und die Kunstakademie Goethe: „Das Land, was die Fremden nicht beschützt, geht bald unter“.

Nun noch einmal zurück in die Geschichte und hin zu den Museen Dresdens, zu seinen Grundfesten also. Wie in vielen europäischen Residenzstädten des 16. Jahrhunderts richtete sich auch der Sachse in seinem nigelnagelneuen Schloss, der ersten Renaissanceanlage in Nordeuropa und einem der modernsten Schlösser seiner Zeit, einige Räume ein zur Präsentation von Objekten und Werkzeugen, die Aufschluss gaben über das nationale Handwerk und dessen kunstvolle Erzeugnisse. Diese als Kunst- und Wunderkammer im Jahre 1560 aus der Taufe gehobene Sammlung ist damit die Mutter aller heutigen Dresdner Museen – und sie bringt uns ein ganz entscheidendes Moment in unserer europäischen Kunstentwicklung näher. Es ist nämlich jene Zeit der Spätrenaissance, in der sich ein Begriff von dem, was Kunst eigentlich ist, überhaupt erst auszubilden beginnt. Die Wunderkammern des 16. Jahrhunderts stehen mit ihren Exponaten eines meisterhaften Handwerks, in dem sich ursprünglich funktionaler Sinn und rein materiale und ästhetische Anschauungs-Werte überlagern, am Beginn einer modernen Idee von Kunst und ihrer Verschiedenheit zu bloßem Können und seiner Perfektion.

Anton Oertel: Sterne aus Elfenbein, um 1620, Neues Grünes Gewölbe (ehemalige Kunstkammer)

Die zwecks der geheimen Verwahrung ausgewählter, besonders kostbarer Stücke separierte Schatzkammer des Dresdner Schlosses trug auf Grund Ihrer bemalten Türrahmungen schon seit jeher den Namen Grünes Gewölbe. In beiden Sammlungen – Grünes Gewölbe und Kunstkammer – häuften sich in rascher Zeit Unmengen gleichermaßen wertvoller wie kurioser Gegenstände auch außersächsicher Provenienz an, „deren Pretiosa von keiner Feder zu beschreiben“ seien, wie ein Chronist Ende des 17. Jahrhunderts festhält. Das frühneuzeitliche Interesse an allem, was mancher heute gerne wieder als fremd bezeichnen würde, brachte auch durchaus Erstaunliches nach Dresden. So richtete man 1616 die Anatomiekammer ein, wo sich neben allerlei Skeletten eine delikate Auswahl ausgestopfter Tiere wie etwa Affen, Kamele, Löwen und Panther versammelten. Umstritten ist, ob, wie es für Wien nachgewiesen ist, auch konservierte Menschenkörper zu besichtigen waren.

Die kurfürstlich-sächsische Sammeltätigkeit erreichte unter August dem Starken (II., 1670-1733) und dessen Sohn (III., 1696-1763), ihrerseits zugleich Könige von Polen, einen denkwürdigen Höhepunkt. Beide bewiesen beim Erwerb von Gemälden, Skulpturen und jeder Menge luxuriösen Nippes eine außerordentliche, nahezu obsessive Leidenschaft: Ein Teeservice aus Meißener Porzellan für die Summe eines Jagdschlosses, 151 chinesische Porzellane im Tausch gegen 600 berittene Soldaten inklusive Vierbeiner und Ausrüstung, einen grünen Diamanten von 41 Karat für 400.000 Taler – für dieses nette Teil hätte der gute Schiller mit seinem Gehalt als Geschichtsprofessor in Jena 2.000 Jahre arbeiten müssen.

Diese und vielerlei andere Schätze konnten nach vorheriger Anmeldung sogar öffentlich begutachtet werden, als der starke August 1725 seine bis dahin geheime Schatzkammer öffnete. Die Zurschaustellung seines Reichtums war aber mehr als nur Machtpolitik im Modus der Repräsentation. Dem Grünen Gewölbe wurde damals schon eine museale Konzeption zu Grunde gelegt. Die Pretiosen waren in einer dramaturgischen Abfolge arrangiert und nur während festgelegten Öffnungszeiten zu sehen, die Anzahl der gleichzeitigen Besucher wurde zum Schutze der Exponate limitiert und ein Eintrittsgeld erhoben. Vielleicht könnte man damit tatsächlich, sofern dies eine weiterführende Relevanz hätte, den Titel des ältesten Museums der Welt beanspruchen. Den Louvre machte man erst etwa 70 Jahre später zum Nationalmuseum und sogar der Aufklärer aus Sanssouci war später dran, ebenso wie die Konkurrenz in München und der Kaiser in Wien.

Heute ist es aber weniger diese Hemmungslosigkeit im Zusammenraffen, diese irgendwie aus dem Ruder gelaufene, lüsterne Gier nach immer Exorbitanterem, was Aufmerksamkeit verdient, denn das weitaus kontrolliertere Agieren der beiden Auguste auf dem Gebiete der Malerei. Mit ihrer fachkundigen Expertise und einer strategischen Kaufpolitik schufen Vater und Sohn eine der reichsten und qualitätsvollsten Galerien ihrer Zeit. Nicht viel mehr als 50 Jahre reichten ihnen aus, um eine Sammlung zwischen Renaissance und Rokoko zusammenzutragen, deren Inventar sich liest wie ein Gedicht: die Heilige Nacht von Correggio, die Schlafende Venus von Giorgione, die Sixtinische Madonna von Raffael, Rembrandt’s gekidnappter Ganymed, zwei Vermeers, Tiziane, Rubens, Cranache, van Eycks usw. usw. Allein August III. erwarb mit Hilfe seiner Agenten – auch heute treten Art Consultants ihren vermögenden Auftraggebern wieder an die Seite – mehr als 4.000 Gemälde, darunter immer wieder hochkarätige Konvolute, wie jenes des Herzogs von Modena, mit welchem 1746 gleich dutzende ausgesprochene Meisterwerke nach Dresden kamen. Ein Jahr darauf ließ man den ehemaligen Stallhof der Residenz zur öffentlichen Galerie umbauen. Wo eben noch Gäule fraßen, konnte nun ein immer breiteres Publikum flämische, italienische und deutsche Meister sehen. Der kunstverwöhnte und für seine derweilen auch spöttisch-launische Kritiken bekannte Goethe verfiel in Dresden in wahre Schwärmerei:

„Ich trat in dieses Heiligtum und meine Verwunderung überstieg jeden Begriff, den ich mir gemacht hatte!“

Zur Mitte des 18. Jahrhunderts hatten sich aus der ehemals universalistischen und bis dato eher unkoordiniert gewachsenen Sammlung des kurfürstlichen Besitzes eine Vielzahl an eigenständigen Einzelsammlungen mit thematischem oder gattungsspezifischem Fokus herausgelöst, die an unterschiedlichen Orten aufbewahrt oder der Öffentlichkeit gezeigt  wurden. Zu der Pretiosensammlung im Grünen Gewölbe kam eine Sammlung naturwissenschaftlicher Gerätschaften, die Porzellan-, Skulpturen-, Gemälde- und Antikensammlung, sowie das Kupferstich- und das Münzkabinett hinzu.

Diese Pluralität zeugt von der kulturgeschichtlich bedeutenden Entwicklung eines hoch ausdifferenzierten Sammlungswesens, welchem ein wissenschaftlich-historisches Interesse zugrunde liegt, das zugleich die Bedingungen und Ansprüche der Präsentation von Kunstobjekten thematisiert und hinter welchem eine komplexe Administration steht. Eine vergleichbar herausragende Kulturleistung erreichten viele europäische Staaten in diesem Feld weitaus später. Mit den Bauten auf der Berliner Museumsinsel schafften die in Deutschland übermächtigen Preußen erst zum Ende des 19. Jahrhunderts, was da in Dresden schon Tradition hatte.

Die Dresdner Sammlungen heute

Über die Qualität wurde zum einen schon viel gesagt, zum anderen lässt sie sich sprachlich nur schwer wirklich so reproduzieren, wie sie sich in ihrer reinen Visualität ungefiltert dem Auge darbietet. Nur so viel sei gesagt: Was die alte Malerei angeht, so findet sich in Dresden insbesondere zur deutschen Renaissance, zum flämischen, niederländischen und deutschen Barock, wie zu den Italienern vom 15. bis 18. Jahrhundert, das mitunter beste, was es gibt. Herausragend sind zweifelsohne die Cranach Sammlung, welche die umfassendste weltweit ist, das Correggio, Tizian- und das Rubenskonvolut, die wunderbare Sammlung barocker Stilleben und jene schönen, technisch so versierten Ansichten von Venedig und Dresden beider Canalettos.

Seit dem 19. Jahrhundert baute man in Dresden eine zweite Sammlung neuerer Malerei auf, die in der deutschen Romantik, dem Expressionismus der Brücke-Gruppe wie auch in der Neuen Sachlichkeit ein starkes Profil beweist. Auf dem Feld der Moderne stehen in Dresden dagegen häufiger einzelne Positionen recht alleine da, die so jeweils exemplarisch einen viel zu umfassenden Kontext repräsentieren müssen. Damit ergeben diese auch in ihrer Gemeinsamkeit nicht recht ein kohärentes Aggregat mit kunsthistorischer Aussagekraft. Lobenswert ist sicherlich ein durchaus erkennbarer regionaler Schwerpunkt in den Neuerwerbungen seit der Wende, uneingeschränkte Freude bereiten die Richter-Räume, denen Dresden viel Aufmerksamkeit in der Gegenwartskunst verdankt.

Was für nahezu alle Dresdner Sammlungen gleichermaßen gilt, ist das herausragende Ineinswirken der Exponate mit dem Raum ihrer Präsentation. Hier gewinnt das Museumserlebnis durch die bemerkenswerten Architekturen der Ausstellungsorte ganz wesentlich an Eindrücklichkeit, sind diese bekanntermaßen auch noch in ein großartiges, in Deutschland vielleicht einmaliges, städtebauliches Ensemble eingebunden. So werden die Alten Meister seit 1854 von der Sempergalerie gehütet, ein Vorzeigeobjekt für die Museumsprojekte des 19. Jahrhunderts. Ihre reiche Neorenaissanceausstattung vermittelt ein eindrückliches Bild von der Festlichkeit der bürgerlichen Bildungskultur dieser Zeit.

Die Kunst der Neune Meister von der Romantik bis zur Gegenwart erfreut sch dagegen in den weiten White Cubes des Albertinums besten Bedingungen, ohne dass eine übersteigerte Kühle in die Räume einziehen würde, wo ehemals militärisches Gerät gelagert wurde. Man kann sich wohl nie ganz entscheiden, ob der Blick aus der Sempergalerie über die Anlage des barocken Zwingers, oder jener aus dem Albertinum, über die Brühlsche Terrasse hinweg auf die Elbe zu, der schönere ist.

Das Grüne Gewölbe schließlich, das heute wieder an seinem angestammten Platz im Residenzschloss untergebracht ist, kann wirklich kaum mit Worten beschrieben werden. Die mit Marmor, Gold und Spiegeln überborden ausgestatteten Räume scheinen mit der Kostbarkeit und Pracht der hier gezeigten Exponate zu wetteifern. Wohl auch deshalb ist die Wirkung der phantastischen Dresdner Schätze bis heute ungebrochen. Hier entfaltet sich ein überall glänzendes, funkelndes und strahlendes Universum des Barock, wie er im Buche steht, aber nur hier so erfahren werden kann. Der Besuch des Grünen Gewölbe ist ein sinnliches, leibliches Erlebnis, wo sich die Vorstellung von dem, was Repräsentation bedeutet, neu orientiert.

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Porträt einer Frau, 15. Jhd

Rogier van der Weyden, Porträt einer Frau, 15. Jhd.

„(…) denn es ist etwas sehr Angenehmes, Kunstwerke zu besehen, die Gedanken und Reflexionen, welche dabei vorkommen können, aufzufassen, die Gesichtspunkte sich geläufig zu machen, die andere dabei gehabt haben, und so selber Urteiler und Kenner zu werden und zu sein.“
—  Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 1835-38

„(…) ob also Geschmack ein ursprüngliches und natürliches, oder nur die Idee von einem noch zu erwerbenden und künstlichen Vermögen sei, so daß ein Geschmacksurteil, mit seiner Zumutung einer allgemeinen Beistimmung, in der Tat nur eine Vernunftforderung sei (…): Das wollen und können wir hier noch nicht untersuchen.“
—  Kant, KdU, 1790